- Großstadtsynapsen -

Großstadtsynapsen

Texterstellung für performative Ansätze

Auszug

 

 Ein Maskenball in einer verrauchten Gegend, – innerstädtische Großstadt, die Straßen, nachts, still und lau, an den emporgereckten Häuserwänden schaut man auf, der Himmel kleine Waben, Öffnungen an Hochhausdächern, die Wolkennächte erahnen lassen…..

Welche Zeit bricht morgen an? Wohin tragen uns die Flügel?

Morgen frühstücken wir in Paradiso. Heute sind wir im Palais. Nächte Woche geht’s ins Mix.

Die Sirenen stehen nun still.

Nichts ist wie es ist. Und die Stadt ist still. Wenn ich am frühen Morgen um halb sechs die Allee zum Friesenplatz entlanglaufe, weiß ich schon, was mir der Tag bringen wird. Jetzt ist es noch still. Und ich sehe die grauen Hausfassaden auf beiden Seiten der Straße. Die weite Welt ist mittlerweile überall angekommen. Auch hier drinnen. In jeder Ritze dieser Stadt. In jedem kleinen Häuserspalt in den Wänden  dieser Stadt ist die große weite Welt zu Hause.

Jeden Tag laufen wir um den großen Platz. Und niemand weiß so recht, wen oder was er in dieser Stadt suchen soll.

Ein Grüppchen steht immer morgens pünktlich um elf Uhr am Platz und sucht meistens  nach Zuschauern. Das Gesuche aber entpuppt sich zumeist als Altertum…wie eine megamäßige Andacht…Die Stadt absorbiert derweil mich und Lucien…die Grüppchen… es sind so viele, dass sie untereinander den Tod wünschen,  ecken sich gegenseitig an…Dann kriecht der Tod auch manchmal aus den Ritzen der Stadt.

Sie stehen so da, bemüht stählern, letztendlich abgedroschen,     …. laufen sie nebeneinander in Gruppen. Wir auch …in Gruppen.       Es eint sie wohl der Hass. Sie würden widersprechen. Es sei die Liebe, sagen sie. Es ist Liebe – ja wirklich…das sei die einzige Wahrheit. Und man sieht es ihnen wahrlich gar nicht an, aber, wenn die Nacht einbricht, erkennt man nur ihre Schatten, Abdrücke ihrer Silhouetten im Licht der Laternen.  Tagsüber sind sie in ihrem Aussehen überordentlich. Sie schätzen das kühle Bier und trinken den schweren Wein.  Und es geht um Liebe. Alle Vorkommnisse und Begebenheiten, die sie sich wünschen und austauschen, führen kleine Momente von Besorgnis und Anmut mit sich. Sie pflücken die Kelche der Hyazinthen und Rosenblätter und ihre Sinne laben sich an ihren Düften. Der Glanz schwärzt ihre Gesichter und manch wohliger Geruch ändert seine Farbe im gleißenden Licht des Rausches.  Nichts scheint so zu leuchten, wie es ist.

 

I     „Habt ihr’s gehört…?     Mnemosyne im Gewand, er sah sie hinterrücks,  im Nachthimmel ist sie ihm erschienen…“

„Was schreitet dort … der  Welt voran? Was ist geschehen, nachts?  Habt ihr es gehört…? Die vollen Krüge, hol ich mir. Keine Zeit für Wiederhall“

„Ihr müsst es hören! …Ihr müsst es hören…Und weitersagen…“

Mnemosyne gab uns die Musenkinder der Stadt.

Den Gesang der Synapsen, auch Musensöhne und Musenjünger genannt,

Der Musengesang erklingt beim Göttermahl. 

Gewöhnlich sind der Musen neun, Neunlinge:

Die Macht:  Die Trägerin von den Möglichkeiten von Entscheidungen, Sie ist die Kellnerin, die die  Kugel/einen Globus auf ihren Händen trägt. In der Stadt/Großstadt geht es den Menschen um Entscheidungen und wie diese getroffen werden können und dabei hilft ihnen die Muse der Macht.

Die Missgunst:  In der Stadt stehen Menschen in Beziehungen und dabei manchmal gegeneinander…eine der stärksten Emotionen, die Menschen schon immer praktizieren. Die Muse der Missgunst ist eine negative Kraft, die sich in Großstädten niederschlagen kann.

Der Tod

Die Fauna:   Steht als Gegenpol zum Urbanen. Sie hilft den Wesen. Sie ist eine Muse, die allumfassend den natürlichen Gaben der Bürger:innen einer Großstadt entgegenkommt und Natürlichkeit in die urbane Welt bringt.  Schatztruhen liegen in ihrer Wohnung in großer Zahl. Jede, die sie öffnet, birgt ein Geheimnis.

Der Klang:   Alles ist Klang. Alles ist Ton und Sound. Und die Muse des Klangs ist allgegenwärtig. Jede Kreation strebt in die Richtung des Klangs. Sie kann ihre Gestalt verändern und zu Dingen und Sachgegenständen werden, z.B zu einem Plattenspieler oder Horn.

Die Liebe und Wollust:  Diese Muse ist die Kraft, die allem innewohnt und sich in der Großstadt in verschiedenen Versionen zeigt. Sie ändert ihr Gesicht und ihre Ausdrucksformen, nach mannigfaltigen und verschieden Ansätzen und Möglichkeiten. Spiegel säumen ihre Wege und sie beschauen sich regelmäßig darin. Sie öffnet Türen hinter denen Spiegel stehen und baut Häuser aus Spiegelglas.

Der Tanz und die Ferne: Die Bewegung ist in der Großstadt immer vorhanden, immer aktuell und immer sinnstiftend und bringt die Bürger:innen zusammen. Die Ferne dagegen wirkt als Korrektiv, um diese Übereinkünfte erkennbar zu machen. Sie sind tanzende Kinder in Masken und Maskerade, die den Karneval feiern. Sie tragen Kostüme, die sie selbst geschneidert und verfasst haben.

So sind sie in der Welt.

 

Die Musenkinder  (Neun Musen)

Gewöhnlich sind der Musen neun, Neunlinge:

Die Macht ist wie der Zement, der durch Mnemosyne und die anderen Musen verwendet wird. Baustoff.

Die Missgunst streunt durch Gassen und Straßen, im Krebsgang und klimpert mit den Münzen.

Der Tod  –  das ist der Sensenmann

Die Fauna ist ein Schwanenvogel. Sie ist die Gesamtheit aller Schwäne und Vögel und ihr Gesang dringt aus jeder Ecke der großstädtischen Jahrmärkte, der Einkaufshäuser und der Parkanlagen, wie Menschen, die singen, daher ist er/sie  der liebste Bruder, die liebste Schwester des Klangs.

Der Klang ist eine Muse und der Musenjünger, der alles in einem ist, jedes Wort schreibt und tanzt und singt er. Er ist der Straßenmusiker, der in den Großstädten, in den U-Bahnhöfen, in den Nachtbars und auf den großen Weltbühnen die Welt verzaubert, mit seinen Liedern.

Die Liebe und Wollust sind Meerjungfrauen, Nereiden des Wahnsinns. Sie schwimmen in allen Seen und Gewässern und sammeln die Blumen und Blüten der gesamten Welt.

Der Tanz und die Ferne sind Schwestern, leben auf einem Schloss, tragen bevorzugt gerne bunte, großflächige Kleidungsstücke mit großen Schleifen und breiten Kragen. Sie sind ständig in Bewegung und trinken Wein und Bier in großen Zügen, ausgiebige, kräftige Schlücke.

 

In einer Wabenförmigen Struktur  entstanden die Landschaften der Mnemosyne. Sie blitzten feurig und grell und hoben die hohen Türme und Hochbauten der Stadt gen Himmel.     „Wir sollten uns weiterhin darin beseelen, – darauf vorbereiten –  die bienenwabenförmigen Muster. Sehen so die Städte aus? Ist dies das Bild?“, hört man es aus den Gassen zischen.

 

Ein bestimmter Anspruch, ein Begriff für den höchsten Anspruch, was notwendig ist…. in sich selbst – die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft -, dies sollte zum Maßstab gemacht werden. Unterdessen Stille.

Induktive  Informationen sollten im Nachhinein den Behörden zur Verfügung gestellt werden  –     das Freie wäre sich selbst verpflichtet, so beschrieben die meisten das Ansinnen.

„Welche Botschaft bringst Du uns?“, fragte man Mnemosyne.

Mnemosyne, die die Musen der Stadt gebar, die Musen der Städte, horchte in sich und sagte: „ Als  MATRIX ist die Welt in ihren Erscheinungen geboren in vier Himmelsrichtungen. Sie tanzt den synaptischen Tanz der Bewegungen. Der Gesang der Synapsen, auch Musensöhne und Musenjünger genannt,  der Musengesang schallt auf beim Göttermahl.“

Gewöhnlich sind der Musen neun, Neunlinge:

Die Macht

Die Missgunst

Der Tod

Die Fauna

Der Klang

Die Liebe und Wollust

Der Tanz und die Ferne!

Mnemosyne fuhr fort: „Von Wasser und Brot ist die Rede, Sauerstoffgehalt, Der Mangel an Wasser und lebenserhaltenden Nahrungsmittel als erstrebenswertes Material für die großen Städte.“

Ein Bürger sagte: „Ein US-amerikanisches Fahndungssystem kann uns da bestimmt weiterhelfen, der Code und die Methodik des Programmsystems MATRIX wird vom Projekt ADVISE des Ministeriums für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten weiterverwendet.“  

Unbehagen und Groll kamen auf und es sprach ein weiterer Bürger

 „Hier liegt ein Fehler vor.

Die Versammlung löste sich auf und man vertagte die Absprache in andere Säle der Stadt.

Der beste Teil der Stadt war das Speiselager. Ein geräumiger, luftiger Saal, reinlich gehalten…die Speisen sind gut und üppig, man verzehrt mächtige Mengen groben Fleisches mit Salz und Kisten mit Mehlspeisen, die kastenförmige Backeinrichtungen sind. Man ernährt sich grobkörnig und kurzweilig. Die Feuchtspeisen dampfen aus den Zubern und die Räucherlachse dampfen aus den Kesseln. Die Brot und Leibspeisen verbreiten ihre wohlen Gerüche, leuchtend und durchdrungen aus traurigem, öden Winter gehen sie in den warmen, leuchtenden Frühling.

 

Ein Chor erklang über den Stadtstaaten:

„In diesen Zeiten  ———————

Halbe Gedanken

In Erden –

     Umlauf

Und ab ge

sagene Sagen

Sagenumwobene Zeiten

Wo ist Mnemosyne?

Wir fahren mit dem Schiff

Ein Lied herbei

In

Heartbreak Fever”

 

Der Platz – in Ewigkeit mit Feuern und glänzend und strahlend und mit grell blitzenden Raketen, leuchtet in der Nacht.

Seine Quadratur schält sich aus den auffälligen Stadtmauern. geblendet neigt sich die Ansammlung.

 

Eine gutbetuchte Botin raunte durch die Menge:

„Die Vernetzung sind wir, synaptische Knotenpunkte, die fluide Bahnen und Bewegungsströme.

       –  Grundstruktur: Körperkriege“

Außerhalb und innerhalb der Stadt bewegen sich die Ströme. Manchmal finden sie ihren Weg von außen hinein und münden ihre Münder in die grasbewachsenen Moosflächen der Flussufer der alten Städte. 

Ihre grundstrukturierte Vereinzelung bahnt sich fluide Wege mit synaptischen Knoten.

Innerhalb dieses Konvents, eine Ansammlung und Schar. Die Speisen scheinen zu wallen, die Schänken und Gastsäle sich zu bereiten. Ein brillantes Feuerwerk mit bengalischen Lichtern um die Speisetische herum. Ein merkwürdiges wie elysisches  Schauspiel. Das Risotto duftet und schwelgt im Kübel, Fischrogen und Forellenfleisch dörren in mächtigen Kesseln. Der Sud treibt den Spargelkohl und das geselchte Fleisch. Die Früchte leuchten hie und da in alabastergrün und weiß und feuchtem rot. Die Apfelsinen und das Kernobst, der Zimtapfel funkeln im Mondschein.  Mnemosyne ist das Gedächtnis der Stadt. Sie reist zwischen den Zeiten und holt die Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervor. Ihre Gefährten rauschen durch die Städte der Welt und erleben die Abenteuer von Hochbahnen, der Technik,  gegründeten Matrizen, in rauschenden Festen und Versammlungen schönsten Tanzes.

Die Vorschläge, als Palimpseste auf Dächern zu hängen, lauteten wie folgt:

I    „ Mnemosyne tanzt mit Gaya. Sie erstrebt die Zustimmung des Rates.“

II   „ So lass sie doch fordern. Schwere Zeiten  – erfordern freie Entscheidungen.“

III    „Ein bestimmter Anspruch, ein Begriff für den höchsten Anspruch, was notwendig ist…. in sich selbst – die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft –

IV    „Das Freie ist sich selbst verpflichtet.“

V     „Ein US-amerikanisches Fahndungssystem kann uns da bestimmt weiterhelfen“

VI    „Schweigt!“

 

Während Mnemosyne ihre Erinnerung aktiviert, versinkt die Stadt im Chaos.

Es wird geschwelgt in üppigen Festmahlen und unbegrenzten  Möglichkeiten     – in Hülle und Fülle.

Andere  –  spärlich, gelegentlich und limitiert.

Die Neun-zahl als Chor (3×3)

Während die Netzwerke pulsierend durch die Hochebenen jagen, öffnen sich graue und weiße Wände an Häuserfronten, die die neun Musenkinder zeigen,

Die neun Töchter erobern die Stadt.

Während einige zittern, starten die anderen den Move.

Die Bewegungssynode, eine Versammlung aller herrschenden Musen zum Weben des Aquädukts. Man einigt sich auf den Apparat. Er wird eingewebt …in Penelopes ewigen Webstoff..

„Let‘s  move   –   move   –  to move – to move – ineinander dicht eingehakt   –  ineinander dicht eingehakt — dicht eingehakt  —  dicht eingehakt“

Was bleibt…

Anders als die gewobene Macht –

Vernetzungen durch Straßenläufe und Täler, mithin andere Signatur.

In allen Gassen,  Städten und Bauten.

Die Synapsen singen und tanzen durch die Stadt, sie fordern neue Strukturen.

Die Waben erlöschen und es entstehen große Türme, aufbrausende Miniaturen, Gewächse und klare Bilder, die Welt steht still. Nichts ist, wie es ist.

Schnelligkeit und Existenz – das Rennen setzt ein und der Move gleitet geschmeidig in die Täler und zwischen die Hügel.

Der existencial run der Erinnerungen holt die Zeit zurück und gibt den neuen Bildern Stoff. Der wird genäht und beschrieben, er wird gesungen und getanzt.

 

Das Bildnis erstreckte sich zu weiten Teilen, über die Stadt hinaus. In die Felder und Landschaften der Bergwelten, außerhalb von großen Städten und Vernetzungen zeitgleicher Übereinkünfte der Individuen und deren Sprach-  Wortspiele. Sie bestiegen Berge, außerhalb der Städte, doch sie sahen die Verbindung einzelner synaptischer Zusammenhänge konkret und direkt. Zirkulation verschiedener, seilähnlicher Konstruktionen, innerhalb Sphären paradigmatischer Vereinzelung und apodiktischer Fügung. Ein Einzelner lebte sich aus, der Wanderer. Er sog, soeben oben angekommen, Luft und Fanale des Ganzen in sich. So erstarb Erübrigtes mehr und mehr. Er blies sich auf, zur Sonnenmacht – Die Implosion ließ nicht lange auf sich warten. Die Vereinzelung des Einsamen ging eine unheilige Allianz mit den Geräderten und Tagelöhnern, den  schuldigen Subjekten und den Existenziellen und Gehorsamen ein. Dadurch besprach man die Stille. Sie offenbarte das Leid der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Zusammengefügt konnte man sagen: Man einigte sich auf Vereinzelung. Es bedurfte keiner Widerrede, man stimmte der Einsamkeit zu und genoss dies Fest der inneren Abkehr.

 

Das Ritual

 

Useful side-effects sind Gefühle.  Zugehörigkeit – oder Abneigung, Aversion. Der Drive nach Einzelheit und das Suchen nach Einsicht.  Obwohl die Städte Kommunikationsstandards bestimmten, entschieden sich die Boten andere Wege zu gehen. Reine Nomen und Namenwörter des Glaubens reichten nicht mehr aus. Und so setzten sie den rigiden Regeln die Korrektheit dieser Handlungen voraus.  Heraus kamen Vorverurteilungen. Wie konnte man sich dem entziehen? Wenn Abweichung Verurteilung war…? …und wenn sie nicht geduldet wurde. Die Förderung und Stabilisierung von Bindungen soll der einzige Grund dafür gewesen sein. Daher das Ausblenden der Freiheitsvorstellungen. Eine Institution – hart betoniert. Ein grüner Tee half dabei. Die Suppenlöffel und das Geschirr hatten den Charakter der Gastlichkeit verloren. Zeremonien verschwanden  – und tauchten auf, nunmehr als mediale Vorstellungswelten von Raum und Zeit.

 

© evdokia michailidou                    

Künstlerisch performative Ansätze  zum Thema Großstadt  für Performances in Kirchen // Texterstellung für Gregor Weber und Mitglieder des Schauspiel Ensembles der Gemeinde St. Clemens und Mauritius / Buchforst-Buchheim (Köln) // Regie/Choreographie: Gregor Weber // Mai 2021

 

Start typing and press Enter to search